1956 | Groß Midlum | ev.-ref. Kirche | Alfred Führer Orgelbau

Die Orgel am 23.12.2014.

1 Geschichte

Die Orgel der Kirche Groß Midlum beruht auf zwei, vielleicht drei Vorgängerorgeln.

Von der ersten Orgel ist wenig überliefert, erhalten sind lediglich einige Unterlagen zur Reparatur, Pflege und Inventur. Was man weiß, ist, dass 1579 eine Reparatur stattgefunden hat. In Berichten von 1579 und 1580 wird die Orgel allerdings schon als „ganz zerfallen“ und „nicht mehr zu gebrauchen“ bezeichnet, sie musste also noch einmal wesentlich älter als 1579 gewesen sein. Dann folgen Widersprüche, 1613 ist von einer neuen Orgel die Rede, in einer Inventur von 1766 wird das Alter der Orgel aber auf über 200 Jahre festgelegt. Ich vermute, dass 1613 kein direkter Neubau stattfand, sondern die alte Orgel erweitert und vielleicht neu intoniert wurde. Es war zu der Zeit generell üblich, beim Bau neuer Orgeln Teile der Vorgängerorgel zu übernehmen. 1654 wurde ein Orgelbauer übrigens nicht nur mit Gulden, sondern auch mit einer Tonne (vermutlich ein Fass) Bier bezahlt.  Aus einem Bericht von 1802 geht hervor, dass die Orgel 8 klingende Stimmen auf zwei Manualen hatte. Außerdem ist von einem Brust- und einem Oberwerk (vermutlich das Hauptwerk) die Rede. Zum Vergleich, die heutige Orgel hat 14 Stimmen, aber auf nur einem Manual. Die einzelnen Teilwerke seien aber in einem sehr schlechten Zustand, das Brustwerk war wohl komplett nicht zu gebrauchen, in der Tastatur für das Oberwerk lagen einige Tasten unten und auch das Windwerk konnte den nötigen Luftdruck nicht liefern. Eine Reparatur war aus finanziellen Gründen nicht möglich, was natürlich schade ist, da die Orgel ja scheinbar relativ alt war. Ich vermute, dass zeitliche Parallelen zur Orgel in der Westerhuser Kirche bestanden, nur dass die Groß Midlumer Orgel wahrscheinlich etwas größer war und eben über zwei Manuale verfügte.

1803/1804 wurde dann die Orgel gebaut, deren äußere Verkleidung noch heute in der Kirche zu sehen ist, allerdings nicht mehr in der originalen Farbgebung. Orgelbauer war J. F. Wenthin, der ein paar Dörfer weiter in Groothusen eine große Orgel gebaut hat. Die Groß Midlumer Orgel wird klanglich ähnlich gewesen sein. Interessanterweise gibt es noch einen Brief vom H. J. Müller an das Konsistorium in Aurich, der wohl ziemlich sauer war, dass nicht er, sondern sein Konkurrent Wenthin den Auftrag in Groß Midlum bekommen hat. Die Disposition unterschied sich kaum von der heutigen, statt dem Nasat hatte die Orgel Wenthin-typisch eine Traversflöte 8′. Das Pedal war noch nicht selbstständig, sondern angehängt. Der 16′ lag nicht als Subbaß nur im Pedal, sondern als Bordun 16′ im Manual. Die Orgel hielt sehr lange, erst 1944 ist von einigen Problemen mit einzelnen Registern die Rede. Außerdem wird erstmals der Einbau eines selbstständigen Pedals thematisiert. Daraufhin haben wohl Pfuscher versucht, das Werk zu verbessern, die Windlade hatte einige Durchstecher und auch die Register blieben nicht verschont. Metallpfeifen waren am Rand ausgefranst, Labien eingedrückt, die Holzpfeifen wurden zum Teil auseinandergeleimt oder mit Zeitungspapier zusammengeklebt.  Die Lingualpfeifen waren verbeult, zusammengedrückt oder wie eine Blumentüte zusammengedreht.

Das Werk wurde leider nie restauriert. Stattdessen baute Alfred Führer 1956 eine neue Orgel mit dem Vorwand, die guten, dickwandigen Pfeifen seien nicht mehr zu retten. Dies ist mehr als bedauerlich, zumal das Werk fast vollständig original vorhanden und ursprünglich auch eine Restaurierung geplant war. Das Vorgehen Führers ist aber zu der Zeit noch ein typisches in der Orgelbewegung und wurde vielfach praktiziert. Führer war zu der Zeit auch in der Nachbargemeinde Freepsum aktiv und entnahm dort den Gedact 8′. Diesen verwendete er dann in Groß Midlum in seinem Neubau als Flöte 4′. 2020 wurde dies im Zuge der Restaurierung der Freepsumer Orgel wieder rückgängig gemacht und die Flöte wieder zurückgetauscht. Stattdessen erhielt die Groß Midlumer Orgel eine neue Flöte des Orgelbauers Hillebrand, welcher in Freepsum die Arbeiten durchführte. An historischer Substanz erhalten ist heute also nur noch der Prospekt und die Windlade, auf deren Verschlag man noch Gravuren von Organisten oder Balktretern bis aus dem 19. Jahrhundert erkennen kann. Der Prospekt wurde im Zuge einer Renovierung der Kirche in den 60er Jahren rot gestrichen und war vorher vermutlich weiß, wie der in der Groothuser Kirche. An der Kanzel, die heute ebenfalls rot ist, ist die ursprüngliche Farbgebung an Stellen erkennbar, an denen die rote Farbe etwas abgeplatzt ist.

2 Beschreibung und Besonderheiten

Die Orgel ist mit 14 Registern die größte Orgel der Gemeinde (politisch) Hinte. Sie verfügt über ein Manual und Pedal. Das Instrument steht auf der Ostseite der Kirche zwischen Chor- und Hauptraum. Trotz der Kritik an Führers „Denkmalpflege“ muss anerkannt werden, dass hier ein solides Werk vorhanden, deren Stärken ganz klar in der Klangvielfalt und in den Möglichkeiten der Klanggestaltung liegen. Sie entspricht nicht dem übertrieben spitzen Klangbild, welches oft mit Neobarock assoziiert wird, obwohl die Intonation noch original von Führer stammt. Gerade der Prinzipal 8 ist relativ vokal intoniert. Vielleicht hat sich Führer nach der Entsorgung des Wenthin-Werkes und den folgenden Streitigkeiten um ein schönes Werk bemüht. Natürlich weisen die Aliquotregister dennoch eine starke Brillanz auf und lassen keinen Zweifel an der dennoch neobarocken Ausrichtung. Die Orgel bietet auch zwei Zungenregister und auch ein Cornett, alle drei in Bass- und Diskantaufteilung, was dem Spiel einige neue Möglichkeiten gibt. Nebenbei bemerkt lässt sich das Cornett-Register auch sehr gut in hohen Lagen nutzen, ohne dass dieses zu hochtönig oder penetrant wird. Das Pedal ist weitestgehend unselbstständig. Mit dem Subbaß 16′ zusammen mit dem Spitzgedackt 4′ ist bei ruhigen Stücken zwar selbstständiges Spiel möglich, bei Plenumklängen muss dennoch die Koppel gezogen werden.

3 Disposition

Manual:
Principal 8′
Gedackt 8′
Oktave 4′
Gedacktflöte 4′ (Hillebrand)
Nasat 2 2/3′
Superoktave 2′
Waldflöte 2′
Quinte 1 1/3′
Mixtur IV
Cornett III (unterteilt in Bass und Diskant)
Trompete 8′ (unterteilt in Bass und Diskant)
Dulzian 8′ (unterteilt in Bass und Diskant)

Pedal:
Subbaß 16′
Spitzgedackt 4′

Koppel Pedal-Manual

4 Beispielvideo

5 Literaturverzeichnis

Ich gebe keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Textes. Neben den folgenden Quellen sind auch meine eigenen Eindrücke von der Orgel eingeflossen und Informationen, die sich im Gespräch mit dem Orgelbauer ergeben haben, der die Orgel in Pflege hat.

Nickles, R. (1995): Orgelinventar der Krummhörn und der Stadt Emden. Bremen: Verlag H. M. Hausschild GMBH.