1 Disposition und Überblick
Erbauer: Edo Evers
Jahr: 1619
Ort: Warnfriedkirche Osteel
Umfang: 13IIp
Alle Register von Evers sofern nicht anders angegeben
Hauptwerk:
Quintadena 16′ (teils Prospekt)
Principal 8′ (teils Prospekt)
Quintadena 8′
Oktave 4′ (teils Prospekt)
Spitzflöte 4′
Quinte 3′
Oktave 2′
Mixtur (4 fach, rekonstruiert durch Ahrend)
Trompete 8′ BAß + DISC (von Berner mit älterem Material)
Brustwerk:
Hohlflöte 4′
Spitzflöte 2′ (von Berner mit älterem Material)
Sifflöte 1′
Krummhorn 8′ (von Rohlfs mit älterem Material)
Pedal: Angehängt an das Hauptwerk
Koppeln: BW/HW (Registerzug, keine Schiebekoppel)
Tremulant
Stimmung: Norder Stimmung
Stimmtonhöhe: Normal (!)
2 Geschichte
1619: Orgelneubau durch Edo Evers. Evers arbeitet zeitgleich an einer neuen Orgel für die Ludgerikirche in Norden, die Vorgängerorgel der heutigen Schnitger-Orgel. Es ist möglich, dass Evers in Osteel Teile der Orgel von 1567 wiederverwendete, die er in Norden vorfand. Die Orgel war im damals noch vorhandenem Querschiff aufgestellt.
1761: Renovierung der Orgel durch den Orgelbauer Johann Adam Berner d. J., der 1750 von Osnabrück nach Jever übersiedelte. Er erweiterte die Klaviaturen vom für die Renaissance üblichen Umfang FGA-g“a“ zum in Osnabrück dieser Zeit üblichen Umfang CD-c“‘. Die größten Pfeifen sind dabei aus Holz gefertigt und die kleinsten aus altem Metall. Die rein mitteltönige Stimmung lässt er unangetastet.
1830: Johann Gottfried Rohls setzt die Orgel auf die Ostempore, da Querschiff und Chor der Kirche abgerissen werden. Dabei wird die Statik des Gehäuse empfindlich gestört und der Orgel einem dem Zeitgeschmack entsprechendes Aussehen geben. U. a. hat sie nun statt Flügeltüren ohrenförmige Ranken und statt Bekrönungen Engel mit Posaunen. Eine Gegenüberstellung ist in der obigen Orgelvorstellung ab Minute 05:45 zu sehen.
1890: Die Orgel erhält den heutigen Standort auf der Westseite durch Johann Diepenbrock. Er ersetzt die Keilbälge durch einen Magazinbalg.
1917: P. Furtwängler und Hammer empfiehlt einen Neubau.
1928: Christhard Mahrenholz setzt sich für die Orgel ein.
1932: Die Orgel wird unter Denkmalschutz gestellt.
1930 und 1956-57: Erst Max Maucher und dann Alfred Führer Orgelbau halten das Instrument zwar spielbar, greifen aber auch in die Klangsubstanz ein.
1971-73: Durch Bauarbeiten an der Kirche entstehen weitere schwere Schäden an der Orgel.
1994-95: Jürgen Ahrend Orgelbau restauriert schließlich die Orgel, stellt die Stabilität des Gehäuses und das historische Aussehen wieder her und gibt dem Instrument wieder eine passende Intonation. Einige Veränderungen von 1761 und 1830 werden beibehalten, teils zu Gunsten der Praktikabilität im liturgischen Orgelspiel, einige Parameter wie die Klaviaturumfänge oder das Krummhorn im Brustwerk konnten auch kaum mehr auf den Stand von 1619 zurückversetzt werden (mehr dazu im folgenden Kapitel).
3 Beschreibung und Besonderheiten
Die Orgel verfügt über 13 Register auf zwei Manualen sowie einem an das Hauptwerk angehängtem Pedal und ist auf der Westseite aufgestellt.
Osteel ist der Name eines Dorfes, das unter Liebhabern Alter Musik nicht ganz unbekannt ist. Und das ist wenig verwunderlich, kommt man hier der Spätrenaissance doch so nahe, wie es nur sehr selten möglich ist. Natürlich übersteht quasi kein Instrument diesen Alters die Zeit ohne Veränderungen und doch funktioniert die Kombination aus dem enorm hohen Anteil alter Pfeifen und der Klanggebung durch Ahrend hervorragend.
Einige Punkte der Restaurierung 1994-95 sind zumindest ein kurzer Diskurs wert. Berner erweiterte den Klaviaturumfang von FGA-g“a“ auf CD-c“‘. Dies wurde auch so belassen. Es wurde die Norder Stimmung gelegt, eine Art abgemilderte Mitteltönigkeit. Das ist eine moderne Stimmung, in der auch die meisten Werke von J. S. Bach möglich sind, was bei Mitteltönigkeit nicht der Fall wäre. Die Stimmtonhöhe beträgt 440 Hz, was der heutige Standard ist.
Das kann man durchaus kritisieren, weil es aus denkmalpflegerischer Sicht ein klarer Kompromiss ist. Orgeln zur Zeit von Evers und Berner standen in der Regel im Chorton, also etwa ein Halbton über dem heutigen Standard. Der ursprüngliche Klaviaturumfang ab F würde sich außerdem direkt auf das Repertoire und die Spielweise des Organisten auswirken. Die Orgel würde einen quasi dazu zwingen, nur die Stücke zu spielen, die auch bei der Erbauungszeit spielbar waren.
Für diesen Kompromiss spricht, dass er das Instrument wesentlich vielseitiger macht. Die Orgel ist kein Ausstellungsstück in einem Museum, sondern ein Musikinstrument im Gebrauch. Dass das Manual ab C gebaut ist, erleichtert besonders Pedalspiel enorm, das Pedal ist ans Hauptwerk gekoppelt. Die vollständigen Klaviaturen sind schlicht Erleichterungen für den Organistenalltag. Für die Rekonstruktion einer Kurzen Oktave spräche, dass im Bass mit der linken Hand gewisse Intervalle einfacher zu greifen sind, die eigentlich eine Oktave überschreiten, z.B. D und fis. Das fällt hier aber weg, denn die Orgel hatte ja keine kurze Oktave, sondern tiefer als F war einfach gar nichts. Die Erweiterungen sind auch gut gemacht und ein Rückbau hätte viel Verlust an historischem Material bedeutet. Es hätte beispielsweise die komplette Spielanlage inklusive Windladen umgebaut werden müssen. Das historische Pfeifenmaterial von Berner wäre obsolet, was besonders schade wäre, da es von Berner ohnehin nur noch zwei Orgeln mit klingender Substanz gibt.
Dass die Orgel nun auf 440 Hz steht, macht das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten deutlich einfacher, da nicht alles einen Halbton tiefer transponiert gespielt werden muss. Das würde auch mit der Norder Stimmung als Kompromiss ohnehin nur in Ausnahmen funktionieren. Bei der Restaurierung war wohl besonders das Zusammenspiel mit dem örtlichen Posaunenchor ein Grund. Und es ist jetzt auch nicht so, dass es in Ostfriesland einen Mangel an Orgel mit rein mitteltöniger Chortonstimmung gibt, das kann beispielsweise in Uttum, Westerhusen oder neuerdings auch in Petkum und Horsten erlebt werden.
Ob die moderneren Anpassungen jetzt gut oder schlecht ist, bleibt jedem selber überlassen. Argumente gibt es für beide Seiten. Ich finde, wenn diese Orgel schon die moderne Stimmtonhöhe hat, kann man das auch voll ausnutzen. Insofern ist es doch toll, in Ostfriesland eine sehr alte Orgel mit Ensemblequalitäten zu haben. Ich persönlich bin tatsächlich auf diese Orgel genau deshalb aufmerksam geworden. Ich wollte mit einem Ensemble für Alte Musik ein Konzert in Ostfriesland mit historischer Orgel spielen. Diese Orgel klingt einfach toll und macht einem das Leben gleichzeit bedeutend leichter. Das liegt aber nicht nur an der Spielanlage, der Stimmung und der Stimmtonhöhe. Auch in den Register gibt es einige, die nicht nur für Literatur Orgel-Solo prädestiniert sind.
Betrachten wir nun also die Disposition, zunächst die Prinzipale. In Osteel finden sich bereits heute gebrächliche Prinzipalregister im Hauptwerk: Prinzipal 8’, Oktave 4, Quinte 3’, Oktave 2’ und eine Mixtur. Als die Orgel gebaut wurde, war die Begleitung des Gemeindegesangs noch nicht so etabliert wie heute und die Erbauungszeit spielte bei der letzten Restaurierung sicherlich auch eine Rolle. Jedenfalls sind die Prinzipale ausgewogen, lebendig und haben noch nicht die durchdringende Schärfe, wie bei einer hochbarocken Orgel. Die Register stehen dennoch gut im Raum und besitzen einen angemessenen Strich und eine Helligkeit, die sich fundamental von romantischen Orgeln unterscheidet, die ja auch i. d. R. einen runden Klang haben. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber mit dieser Vokalität und Klarheit im Klang lässt sich hervorragend die polyphone Orgelliteratur um 1600 interpretieren, die Werke von Sweelinck bieten sich nahezu an. Besonders hervorzuheben ist der Principal 8’, der vom Einsatz in einer Soloregistrierung für reine Orgelliteratur über die Begleitung von Sologesang bis hin zur Ensemblemusik universell einsetzbar ist. Er fügt sich klanglich wahnsinnig gut in den Raum ein und wächst an den Aufgaben mit ohne unterzugehen oder zu überschatten.
Für etwas mehr Farbigkeit in der Aequallage ist noch eine Quintadena 8′ vorhanden. Auch sie lässt sich universell einsetzen, sowohl als leiser aber zeichnender Soloklang, als stille aber charakteristische Untermalung in einem Ensemble oder auch als Färbung mit anderen Registern zusammen. Es ist generell eine Eigenschaft dieser Orgel, dass quasi alle Register grenzenlos vermischt werden können. Für mehr Gravität im Klang ist eine weitere Quintadena, aber in 16′-Lage vorhanden. Sowohl das Spiel im Ensemble mit Principal 8′, also auch mit der Quintandena 8′ ist im obrigen Videos demonstriert.
Eine Trompete 8′, aufgeteilt in Bass und Diskant sowie eine sehr schöne Spitzflöte 4′ komplettieren das Hauptwerk. Entgegen der Erwartungen an eine Renaissance-Trompete von 1619, ist der Klang dieses Registers zwar hell und kräftig, aber mit mehr Grundton im Klang versehen, als die originalen, kurzbechrigen Trompeten in Uttum oder Westerhusen. Berner hat 1761 dieses Register allerdings auch entscheidend geprägt.
Mit dem Hauptwerk lässt sich für den ganz großen Klang buchstäblich auch das machen, womit man eigentlich immer etwas vorsichtig sein muss: Alle Register ziehen. Die Kombination aus den ausgewogenen Prinzipalen, der hellen Mixtur, den farbreichen Solostimmen und der Gravität von Quintadena 16′ und Trompete 8′ ergeben einen absolut eindrucksvollen Gesamtklang.
Nun wird es erst richtig interessant. Edo Evers baute nämlich nicht nur ein Hauptwerk, sondern auch ein Brustwerk. Dort disponierte er keinerlei Prinzipale, sondern ausschließlich Register, die andere Musikinstrumente imitieren. Das sind hier Flöten in 4, 2 und 1’ Lage und ein Krummhorn in 8’-Lage. Das Krummhorn 8’ war ursprünglich ein Regal. Da eine Rückführung sehr aufwändig gewesen und einem Neubau gleichgekommen wäre, hat man es als Krummhorn belassen. Es fügt sich klanglich sehr gut ein, das gleichnamige Musikinstrument ist schließlich auch ein Instrument der Renaissance. Das Brustwerk ist vom barocken Werkprinzip noch weit entfernt. Register wie ein labialer 8′ oder eine gemischte Stimme, die dem Teilwerk einen eigenständigeren Charakter verleihen würde, fehlen.
Das Brustwerk bietet sich regelrecht für Echospielereien an, was auch typisch Renaissance ist. In der Chormusik der Renaissance findet sich beispielsweise oft das Prinzip der Mehrchörigkeit. In Osteel gibt es unzählige Möglichkeiten, das auch in Werken für Orgel solo anzuwenden. Für einen filigranen Klang kann z.B. die Spitzföte 4’ des Hauptwerks abwechselnd zur Hohlflöte 4’ des Brustwerks gespielt werden. Die Hauptwerkstrompete findet seine Entsprechung im Krummhorn des Brustwerkes. In dem Kontext ist auch erwähnenswert, das die Trompete wegen der Bass-Diskant-Teilung auch nur für eine Hälfte des unteren Manuals gezogen werden kann. Das bedeutet, dass die rechte Hand zwischen Trompete im Hauptwerk und Brustwerksregistrierung wechseln kann, während linke Hand und Pedal auf der linken Hälfte des Hauptwerkmanuals ohne Trompete begleiten. Dadurch ergibt sich der Eindruck eines dreimanualigen Instruments. Der Flötenchor im Brustwerk ist auf 4′-Basis und sehr hell und klar, vor allem durch die Sifflöte 1′ und bietet einen schönen Kontrast zum Hauptwerk. Die Registrierung der Flötenstimmen im Brustwerk zusammen mit dem Krummhorn kommt klanglich einem Bläserensemble aus der Renaissance sehr nahe.
Die größte Stärke dieser Orgel liegt darin, dass sie eine Annäherung an die Spätrenaissance ermöglicht, wie sie nur selten möglich ist. Hervorzuheben sind die Qualitäten des Instruments im Ensemblespiel und die tollen Echomöglichkeiten.
4 Literaturverzeichnis
Ich gebe keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Textes. Dieser Beitrag setzt sich aus Informationen zusammen, die ich bei einem Besuch vor Ort sowie folgenden Quellen erfahren habe:
Kaufmann, W. (1968): Die Orgeln Ostfrieslands – Orgeltopographie. Aurich: Ostfriesische Landschaft.
Ruge, R. (2020): Osteel, Ev.-luth. Warnfriedkirche. Stade: Nomine e. V. https://nomine.net/orgel/osteel-ev-luth-warnfriedkirche/ (14.07.2024)
Vogel, H.; Ruge, R.; Noah, R.; Stromann, M. (1997): Orgellandschaft Ostfriesland. Norden: Verlag Soltau-Kurier-Norden.