1695 | Petkum (Emden) | Grotian

Orgelvorstellung, Praeambulum in d-Moll; WV 33 (Heinrich Scheidemann) und „Allein zu dir, Herr Jesu Christ“ (Daniel Erich).

1 Disposition und Überblick

Erbauer: Valentin Ulrich Grotian
Jahr: 1695
Ort: Ev.-luth. St.-Antonius-Kirche Petkum
Umfang: 19IIP

Register mit originalen Pfeifen von Grotian sind mit „G“ gekennzeichnet.

Hauptwerk (CDE-c“‘, Fis und Gis als Subsemitonen):
Principal 8fs
Quintadena 8fs
Octav 4fs
Nassat 3fs (G)
Octav 2fs (G)
Spitzfloit 2fs (G)
Sexquialter 2f.
Mixtur 4-6f.
Trompet 8fs B. + D.

Brustwerk (CDE-c“‘, Fis und Gis als Subsemitonen):
Gedact 8fs
Rohrfloit 4fs (G)
Waldfloit 2fs (G)
Quintfloit 1 1/2fs
Scharf 4f.
Regal 8fs

Pedal (CDE-d‘):
Subbass 16fs
Octav 8fs
Octav 4fs
Trompet 8fs

Koppeln: BW/HW (Schiebekoppel), Ped/HW
Tremulant
Stern
Ventil Werk + Brust

Stimmung: Mitteltönig
Stimmtonhöhe: Ca. ein Halbton über Normal

2 Geschichte

Vorgeschichte:

1626: Ein erster Organist wird bezeugt: Johann Kirchhof.

Heutige Orgel:

Um 1695: Valentin Ulrich Grotian baut die heutige Orgel. Der exakte Zeitpunkt ist nicht bekannt, sie fällt aber in die Amtszeit des Organisten Johann Weyerts, 94 wird festgehalten, dass die Gemeinde für die Orgel einiges aufgebracht hat und für 99 finden sich Rechnungen für eine Renovierung der Orgel und für einen Eichenbalken, der unter der Orgel verwendet wird.

1707: Joachim Kayser vergoldet die Prospektpfeifen und repariert die Orgel.

1771-72: Größere Reparatur durch Dirk Lohmann.

1837: Größere Reparatur durch Gerd Sieben Janssen, der Einbau eines Bordun 16′ könnte auf ihn zurückgehen.

Um 1895: Orgelbauer Bruns aus Norden fügt anstelle der Trompete 8′ eine Gambe 8′ ein.

1917: Abgabe der Prospektpfeifen.

1927: In einem Bericht werden neue Prospektpfeifen erwähnt, die zuvor eingebaut wurden, vermutlich von P. Furtwängler und Hammer.

1947: Rudolf von Beckerath dokumentiert die Orgel, deren Pfeifen noch zu 2/3 original sind. Außer den Manualklaviaturen, den Bälgen und den erwähnten Registern ist die Orgel zu diesem Zeitpunkt noch fast vollständig erhalten.

1958-59: Die Orgel wurde von ihrem Standort auf der Ostseite vor dem Chor auf die Westseite umgelagert. Die Firma Führer ging dabei sehr rabiat vor. Wolfgang Pahlitzsch äußert sich ziemlich verärgert darüber, weil zur Sanierung der kaputtgeschlagenen Orgel nun Gehäuse- und Bildhauerarbeiten zur Reparatur hinzukamen. Nach ihm gäbe es auch Augenzeugen für das Vorgehen der Werkstatt Führer.

1559-62: Führer saniert die Orgel, in dem die Firma einen Großteil der kaputten Bestandteile einfach ersetzt. Das Instrument weist danach entsprechend eine moderne Spielanlage auf und ein wesentlicher Teil des Pfeifenwerkes wird durch neue Pfeifen in moderner Bauweise ersetzt. Zumindest wird in 5 Registern noch altes Pfeifenwerk wiederverwendet. Mit Denkmalschutz hat das wenig zu tun, die Pfeifen werden eher „verwurstet“. Außerdem belässt er Gehäuse und Windladen.

1989-90: Die Krummhörner Orgelbauwerkstatt überarbeitet die Orgel in dem Umfang, wie es der finanzielle Rahmen möglich macht.

2022-23: Es kommt zu einer ambitionierten Restaurierung und Rekonstruktion durch Wegscheider und Ahrend, wobei Wegscheider den Löwenanteil leistet und Ahrend an der Intonation vor Ort mitwirkt.

[2024: Ich erlaube mir die persönliche Notiz, dass ich dort im Sommer 2024 ein Konzert spielen darf. Ich habe sehr viel Spaß mit dem Instrument und bin wirklich begeistert, wie erfrischend konsequent und toll diese Orgel geworden ist! Die Restaurierung/Rekonstruktion ist wirklich beispielhaft. :)]

3 Beschreibung

Die Orgel verfügt über 19 Register auf zwei Manualen und selbstständigem Pedal und ist auf der Westseite aufgestellt.

Eines fällt direkt auf: Die Restaurierung und Rekonstruktion stand vollständig unter dem Thema „Norddeutscher Barock“ und ist erfrischend konsequent. Das Klangbild lässt sich mit „scharf“ gut beschreiben. Es ist keine Orgel der leisen Töne. Richtig ruhige Klänge lassen sich eigentlich nur mit dem Gedact 8′ im Brustwerk produzieren, vielleicht noch mit der Rohrfloit 4′. „Leiseste“ Stimme im Hauptwerk ist die Quintadena 8′, die aber mit ihrem kräftigen zweiten Oberton gut im Raum steht und verschiedenen Kombinationen eine interessante Färbung gibt. Solistisch kann sie am besten vom Gedact im Brustwerk begleitet werden. Angenehm hell und kräftig klingen die übrigen Flötenstimmen im Raum: Im Brustwerk Rohrfloit 4′, Waldfloit 2′ und Qunitfloit 1 1/2′ sowie im Hauptwerk Nassat 3′ und Spitzfloit 2′. Es bietet sich an, Kombinationen mit Waldfloit 2′ im Brustwerk und mit Spitzfloit 2′ im Hauptwerk aufgrund der Verwandtschaft in der Fußtonlage im Echo zu spielen. Die klanglichen Unterschiede zwischen den beiden Flötenstimmen in 2′-Lage sind im Kirchenschiff nahe der Orgel noch deutlich und verschwimmen in Richtung Chor. Klanglich ist die Spitzfloit 2′ im Hauptwerk mit der Quintfloit 1 1/2′ im Brustwerk verwandt, wobei hier das Echospiel wiederum durch die Fußtonunterschiede interessant ist. Da das Hauptwerk schwerpunktmäßig sehr kräftig ist, ist der vierfache Flötenchor im Brustwerk eine gute Ergänzung für die Klangvielfalt der Orgel.

Eine Besonderheit gibt es im Hauptwerk: Es ist keine Flöte 4′ vorhanden. Das wird die Frage nach der Verwendung der höheren Flöten Nassat 3′ und Spitzflöte 2′ auf. Generell kann man natürlich die Spitzflöte 2′ ganz alleine verwenden oder sie mit dem Nassat 3′ und der Quintadena 8′ unterfüttern und die Flöte 4′ einfach weglassen. Besonders reizvoll ist aber die Kombination von Flöten und Prinzipalen, also z. B. indem man die Lücke mit der Octav 4′ füllt. Ein ganz besonderes Highlight dieser Orgel ist die Kombination von Quintadena 8′, Octav 4′, Nassat 3′ und wahlweise Spitzfloit 2′. Dies ist auch im obrigen Video am Ende zu hören (ohne Spitzfloit 2′) und durch die Kombination der verschiedenen Registertypen ergibt sich ein besonders farbiger, intensiver Klang, für den sich auch der Tremulant auch gut verwenden lässt. Begleitet werden kann diese Kombination dann z. B. durch Gedact 8′ und Rohrfloit 4′ bei geöffnetem Brustwerk.

Ein Hightlight der Orgel ist der festliche, scharfe Klang der Prinzipale. In diesem Punkt wurden keine Kompromisse eingegangen, der Klang der Plena schneidet förmlich durch die Luft und verleiht der Musik der Norddeutschen Orgelschule eine ganz besondere Stärke und Transparenz. Natürlich kann das Hauptwerk im vollen Werk gespielt werden (ein Gehörschutz ist bei längeren Passagen sinnvoll), schick ist aber auch die Abwechslung zwischen Mixtur, Sexquialter und Trompete. Letztere lässt sich auch sehr gut mit der Sexquialter kombinieren, quasi analog zum französischen Zungenplenum, wobei hier die Schärfe weniger durch die Zungen, sondern durch die Sexquialter zustande kommt. Die Trompete ist so richtig norddeutsch: Schnell intoniert, sehr kraftvoll, aber auch mit ordentlich Gravität versehen. Die Sexquialter kann auch gut als Solostimme verwendet werden, wobei dann das Brustwerk etwas kräftiger registriert werden muss. Hier ist das Regal 8′ der „Gegenspieler“ zur Trompete 8′. Es klingt sehr hell, kräftig und frech und gehört ebenfalls zu den Highlights der Orgel, wobei es schwer zu sagen ist, was nicht zu den Highlights gehört. Über das Regal muss man noch wissen, dass, wenn man es als Begleitstimme nutzen möchte, die Solostimme im Hauptwerk ordentlich aufregistrieren muss, eben z. B. mit der Sexquialter. Hilfreich ist es, die Kombinationen unten einmal abzuhören, da der Eindruck am Spieltisch vor allem für das Brustwerk wenig repräsentativ ist. Den Werkcharakter der Orgel macht das Scharf im Brustwerk deutlich, dass einerseits ein helles Brustwerksplenum ermöglicht und andererseits das volle Werk gekoppelt an das Hauptwerk noch stärker werden lässt. Für das Scharf sollte man nun definitiv einen Gehörschutz nutzen. Insgesamt sind alle Register genau so, wie sie sein müssen, um ein stimmiges, hell barockes Gesamtbild zu ergeben.

Zur konsequenten Restaurierung gehört auch, dass die Orgel selbstverständlich rein mitteltönig intoniert ist. Sie gibt der Literatur der Renaissance und des norddeutschen Barocks noch einmal deutlich mehr Farbe durch die krasse Reinheit der Haupttonheiten, aber auch durch die Strenge in den Randtonarten. Chromatisch angelegte Werke profitieren davon besonders, mit ihnen lassen sich mit den ständigen Wechseln aus unreinen und reinen Akkordern Klangeffekte erzeugen, die heute fast wieder modern klingen, weil unser Hörsinn das gar nicht mehr gewohnt ist. Beispielhaft ist auch, dass die Mitteltönigkeit wirklich rein gelegt wurde und kein moderner Kompromiss wie die Norder Stimmung. Fraglich war hingegen der Umfang der Klaviaturen: Der Ausschnitt am Spieltisch hat ganz normal für diese Zeit einen Umfang mit kurzer Oktave nahegelegt. Dafür werden die Töne C, D und E über E, Fis und Gis geschoben. In einem solchen Manual fehlen dann die Töne Cis, Dis, Fis und Gis, wodurch man das Material für die großen Pfeifen sparen konnte. Die originalen Windladen zeigten aber, dass die Orgel durchaus die Töne Fis und Gis hatte. Ein Manual mit einem Umfang von C, D, E bis c“‘ hätte man in den Ausschnitt reinpressen können, dann wären aber kaum Wangen vorhanden. Das sind die Blöcke neben der Tastatur, die diese einrahmt und mit der z. B. die Manualkoppel bedient wird. Man hat die Manuale also mit kurzer Oktave gebaut, um den Platz für Wangen zu lassen und die Töne Fis und Gis mit geteilten Obertasten untergebracht. Die von links aus ersten beiden schwarzen Tasten sind in der Mitte geteilt, die jeweils unteren Hälften sind D und E, die oben sind Fis und Gis. Diese Anlage gibt es in Ostfriesland ansonsten nur in der Ludgerikirche Norden im Manual für das Rückpositiv.

Tastaturbelegung der Manuale.

Von dieser konsequenten Anlage war nicht jeder begeistert, schließlich sind die Manuale besonders für nebenamtliche Organisten erst einmal gewöhnungsbedürftig. Um die klangliche und spieltechnische Konsequenz (Mitteltönigkeit, historische Tastenbelegung, scharfer Klang, etc.) so umsetzen zu können, wurde an einer Stelle dann doch ein Kompromiss eingegangen. Das Pedal wurde verselbstständigt und die Tastenbelegung des Pedals ist normal. Einzige Ausnahme ist hier, dass das D auf der Taste für das Dis liegt und das C auf dem D, aber das ist bei diversen historischen Orgeln in Ostfriesland so. Der Hintergedanke ist dabei, dass Organisten dadurch bestmöglich Basstöne der linken Hand in das Pedal verlegen können. Warum das dafür selbstständig sein muss, erschließt sich jetzt nicht unbedingt, aber mehr Register und die spielerischen Möglichkeiten, die ein selbstständiges Pedal mitbringt sind jetzt kein Beschwerdegrund. Die Pedalregister befinden sich losgelößt vom denkmalpflegerischen Teil hinter der Orgel und sind nicht in das historische Gehäuse integriert worden, geschweige dann das Gehäuse dafür umgearbeitet worden. Die Registerzüge befinde sich an Stellen, an denen originale Substanz bereits ausgeschnitten wurde. Durch eine kleine Koppel, deren Zug unauffällig unter den Manualen liegt, kann das Pedal an das Hauptwerk gekoppelt werden und so gespielt werden, wie Grotian es vorgesehen hat. Die vier Register des Pedals sind ein Subbass 16′, Octav 8′ und 4′ sowie eine Trompete 8′. Die Prinzipale sind klanglich etwas schwächer als die Hauptwerksprinzipale, man kann sie also auch gut zu Flötenkombinationen verwenden, Octav 8′ naturgemäß etwas besser, als der 4′. Die Pedaltrompete ist heller und schmetternder als die Hauptwerkstrompete und sorgt für den selbstständigen Charakter des Pedals auch gegenüber der Hauptwerksplena.

Ein Besuch lohnt sich besonders, weil die weit und breit einzige zweimanualige Orgel mit selbstständigem Pedal aus dem 17. Jahrhundert ist, die rein mitteltönig gestimmt ist, die die Schärfe einer norddeutschen Barockorgel besitzt und die eine historische Tastenbelegung hat.

4 Literaturverzeichnis

Ich gebe keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Textes. Dieser Beitrag setzt sich aus Informationen zusammen, die ich bei einem Besuch vor Ort, im Austausch mit LKMD und Sachverständigem Winfried Dahlke sowie folgenden Quellen erfahren habe:

Dahlke, W. (2023): Festschrift zur Einweihung der Orgel in Petkum. Emden: Gemeinde Petkum.

Ev.-luth. Landeskirche Hannover (2025): Petkum. In: Historisches Kirchengemeindelexikon. https://kirchengemeindelexikon.de/einzelgemeinde/petkum/ (06.08.2025).

Kaufmann, W. (1968): Die Orgeln Ostfrieslands – Orgeltopographie. Aurich: Ostfriesische Landschaft.

Wegscheider, K. (Hrsg.) (2023): Petkum – Emden | Opus 117. Dresden: Orgelwerkstatt Wegscheider. https://wegscheider.eu/organs/one/117 (06.08.2025).