
1 Disposition und Überblick
Erbauer: Gerhard von Holy
Jahr: 1710-11
Ort: Ev.-luth. St.-Bartholomäus-Kirche Dornum
Umfang: 32IIIP
Register mit originalen Pfeifen von von Holy sind mit „H“ gekennzeichnet, Register mit Pfeifen aus der Vorgängerorgel mit einem „V“.
Hauptwerk (CDEFGA-c“‘):
QVINTADEN 16 FVS
PRINCIPAAL 8 FVS
GEDACT 8 FVS (V)
OCTAVE 4 FVS (V)
ROHRFLEVTE 4 FVS (V)
NASHORN 3 FVS (H)
OCTAVE 2 FVS (V)
MIXTWR 4-6 FACH
TROMPETE 8 FVS
VOXHVMANA 8 FVS
Rückpositiv (CDEFGA-c“‘):
GEDACT 8 FVS (H) aus Holz
QVINTADEN 8 FVS (V)
PRINCIPAAL 4 FVS
FLEVTE 4 FVS (H) aus Holz
OCTAVE 2 FVS (H)
FLEVTE 2 FVS (V)
QVINTE 1 1/2 FVS (H)
SESꟼVIALTER 2 FACH
MIXTWR 3 FACH
DULCIAN 8 FVS (H)
Brustwerk (CDEFGA-c“‘):
GEDACT 8 FVS (H) aus Holz
FLEVTE 4 FVS (H) aus Holz
OCTAVE 2 FVS (H)
TERTIAN 2 FACH
CYMBEL 3 FACH
KRVMHORN 8 FVS
Pedal (CDE-d‘):
PRINCIPAAL 16 FVS
OCTAVE 8 FVS (H)
OCTAVE 4 FVS (H)
MIXTWR 6 FACH (H)
POSAUNE 16 FVS (H)
TROMPETE 8 FVS (H)
Koppeln: BW/HW (Schiebekoppel)
TREMVLANT
Stimmung: Norder Stimmung
Stimmtonhöhe: Ca. ein Halbton über Normal
2 Geschichte
Vorgängerorgel:
Um 1530: Eine Orgel wird auf der Südseite der Kirche aufgestellt, aber nicht neu gebaut. Sie könnte aus dem Oldekloster stammen, das ungefähr zu der Zeit aufgelöst wurde. Aus diesem vermutlich spätgotischen Instrument sind noch sechs Register in der heutigen Orgel vorhanden.
Heutige Orgel:
1710-11: Gerhard von Holy baut ein für das Dorf Dornum vergleichsweise riesiges Werk mit Hauptwerk, Brustwerk, Rückpositiv und selbstständigem Pedal. Er integrierte sechs Register aus dem Vorgängerinstrument.
1764: Größere Reparatur durch Hinrich Just Müller.
1836: Johann Gottfried Rohlfs erneuert die Klaviaturen
1842: Größere Reparatur durch Gerd Sieben Janssen
1857: Lehrer Hinrich Janssen Sundermann schreibt über die Orgel, er empfindet sie als so „herrlich“, wie keine andere Orgel in Ostfriesland und würde die Disposition jederzeit wieder exakt genau so aufstellen. Das ist bemerkenswert, weil es zeigt, dass die Barockorgel in der Romantik nicht nur wegen der Mixturen und Zungenstimmen kritisiert, sondern auch geschätzt wurde. von Holy wird von Sundermann als Meister bezeichnet, sein Zeitgenosse Janssen dagegen als „Handwerker“.
1883-84: Großer Umbau durch Johann Diepenbrock, neben vielen Änderungen an der Spielanlage werden im Hauptwerk alte Register durch die Register Bordun 16′, Gambe 8′, Mixtur, Trompete 8′ und Oboe 8′, im Rückpositiv durch ein Salicional 4′ und im Brustwerk durch eine Clarinette 8′ ersetzt. Später werden noch Sesquialter und Mixtur im Rückpositiv und Tertian und Cymbel im Brustwerk entfernt.
1917: Die Prospektpfeifen müssen zu Kriegszwecken abgegeben werden.
1932: Einbau neuer Prospektpfeifen aus Zink.
1937: Große Reparatur durch P. Furtwängler und Hammer nach Plänen von Christhard Mahrenholz, der Betrieb stellt nach damaligem Kenntnisstand die Disposition wieder her, nutzt dafür zu der zeit moderne Pfeifen und erneuert zum Teil die Spielanlage.
1952: Die Orgel wird unter Denkmalschutz gestellt.
1959: Bei der Renovierung der Kirche wird die Orgel einfach mitgestrichen, sie erhält eine Farbgebung in Weiß und etwas Gold.
1960: Verschmutzung des Orgelinneren durch die Bauarbeiten in der Kirche.
1965-66: Durch die neue Warmluftumwälzheizung entstehen in den Holzteilen der Orgel große Risse.
1969: Alfred Führer Orgelbau repariert das Nötigste
1980: Führer baut die Becher der Pedalzungen aus, da sie schief stehen.
1992: Die Balganlage wird aufgrund von Arbeiten am Westgibel ausgebaut. Die Restaurierung der Orgel wird beschlossen und in den Folgejahren geplant.
1997-98: Jürgen Ahrend Orgelbau restauriert die Orgel. Problematisch waren besonders die einzelnen Gehäuse, die einerseits oben nach hinten verankert sind, andererseit aber die Empore nach vorne abgesackt ist. Die Profilkränze werden zum Teil nur noch durch die Farbschichten zusammengehalten. Alle nicht mehr von von Holy stammenden Teile werden rekonstruiert und die Norder Stimmung gelegt.
3 Beschreibung
Die Orgel verfügt über 32 Register auf drei Manualen und selbstständigem Pedal und ist auf der Westseite der Kirche im obersten Stockwerk einer zweigeschossigen Empore aufgestellt.
Die Orgel verfügt über 32 Register, was an sich nicht außergewöhnlich ist. Nur ist Dornum ein Dorf und die Orgel steht in einer nicht übermäßig großen Dorfkirche. In einer Kirche dieser Größe würde man sich auch über die Hälfte der Register auf zwei Manualen freuen.
Ein Besuch lohnt sich besonders aufgrund der unzähligen Plenums- und Soloregistrierungen, zwischen denen man durch die drei Manuale auch noch schnell wechseln kann. Die Register sind auf einem Hauptwerk, einem Rückpositiv, einem Brustwerk und dem Pedal verteilt. Durch die Lage in der Kirche auf dem obersten Rang einer Empore steht die Orgel recht gedrungen dar, was an den Pedaltürmen gut erkennbar ist. Der Principaal 16′ ist erst ab dem B ausgebaut, die tieferen Pfeifen sind gedeckt, um Platz zu sparen. Entsprechend sind die beiden Pedaltürme nicht höher als das Hauptwerk und haben keine reale 16′-Größe. Das Werkprinzip ist an dieser Orgel gut erkennbar. Jedes Werk hat einen Prinzipalchor, im Pedal auf 16′-, im Hauptwerk auf 8′-, im Rückpositiv auf 4′- und im Brustwerk auf 2′-Basis, wobei natürlich im Rückpositiv und Brustwerk Flötenregister die 8′- und im Brustwerk auch die 4′-Basis bilden. In allen Werken werden die Prinzipalplena von Mixturen abgeschlossen, im Pedal, Hauptwerk und Rückpositiv mit dem gleichnamigen Register und im Brustwerk übernimmt diesen Job die Cymbel. Die ist extrem kräftig, was sie aber auch sein muss, um dem Brustwerk eine reale Eigenständigkeit zu verleihen. Denn das Brustwerk ist nicht nur klein, sondern verschwindet auch leicht hinter dem Rückpositiv. Gekoppelt an das Hauptwerk kann die Cymbel aber auch den Hauptwerksplena noch mehr Glanz verleihen. Sie ist keine Quart-Sext-Zimbel und kann entsprechend nicht nur solistisch verwendet werden. Für die Cymbel lohnt sich definitiv entweder ein Gehörschutz oder man schließt das Brustwerk. Das funktioniert mit Schiebetüren, die im Gegensatz zu anderen Brustwerken in der Region keine Schlitze haben. Die Türen dämpfen das Brustwerk und der Klang gelangt indirekt zum Publikum unten, was dem Werk richtige Echo-Qualitäten verleiht. Die Mixturplena sind hell, scharf und zeichnend, was besonders durch die Akustik verstärkt wird. Die ist von vielen Holzelementen geplägt und die Nachhallzeit fällt entsprechend sehr gering aus. An gemischten Stimmen sind neben den Mixturen noch die Sesquialter im Rückpositiv und der Tertian im Brustwerk vorhanden. Letzterer lässt sich nicht nur als besonders farbige Solostimme verwenden, sondern auch um mit der Cymbel im Brustwerk ein goldenes Plenum herzustellen (Goldklang: Terzhaltiges Plenum, Silberklang: Ohne Terz). So lässt sich das Echopotential des Brustwerk weiterdenken und z. B. der Goldklang des Brustwerkes dem Silberklang des Hauptwerksplenum gegenüberstellen. Ähnliches gilt für die Sesquialter im Rückpositiv, auch sie kann wunderbar gezogen werden, um ein Plenum zu färben, wobei sie durch die exponierte Lage des Rückpositives natürlich auch wunderbar geeignet ist, um z. B. einen Cantus firmus hervorzuheben. Im Rückpositiv ist außerdem mit der Quinte 1 1/2′ noch eine einzelne Prinzipalreihe vorhanden, die verschiedenen Soloregistrierungen noch Glanz verleihen kann. Die Prinzipale im Pedal wachsen an ihren Aufgaben. In 16′- und 8′-Lage, teils noch in 4′- sind sie irgendwo zwischen Hauptwerksprinzial und Flöte intoniert. Das gewährleistet, dass sich das Pedal, was im übrigen nicht koppelbar ist, zu allen Kombinationen ausgewogen registrieren lässt. Bei kräftigeren Klängen kommt dann die Pedalmixtur hinzu, die die einzige gemischte Stimme in der Orgel ist, die noch auf von Holy zurückgeht.
Ein besonderes Highlight der Orgel sind die Zungenstimmen. Das Hauptwerk besitzt natürlich eine Trompete 8′, ausgewogen, sehr kräftig und in der Lage, dem vollen Werk noch deutlich mehr Gravität zu verleihen. Die Zungenregister im Pedal sind noch von von Holy und während die Principaal 16′ und Octave 8′ etwas zurückhaltener ausfallen müssen, verleihen die Zungen dem Pedal reale Eigenständigkeit und Stärke im Klang. Besonders die Posaune 16′ macht in der tiefsten Oktave ordentlich was her. Alle Manualwerke haben zudem noch ein ein kleineres Zungenregister, im Rückpositiv der originale Dulcian 8′, im Brustwerk das Krumhorn 8′ und im Hauptwerk die Voxhumana [sic!] 8′. Der Dulcian ist am ehesten noch eine verkleinerte Version der Hauptwerktrompete. Der Klang ist noch relativ glatt und ausgewogen, sofern man bei einem Dulcian davon sprechen kann. Das kurzbechrige Krumhorn ist noch einmal deutlich frecher und schlanker. Reizvoll ist die Interpretation von Musik aus der Renaissance mit den beiden Zungenstimmen solo oder z. B. mit der Flöte 4′ im Brustwerk oder eine der höheren Flöten im Rückpositiv zusammen. Die Flöten können dann ausgleichen, dass die Zungenstimmen in den höheren Lagen nicht ganz so präsent sind, wie in den tieferen. Für das Rückpositiv passt das auch zur Geschichte, hier stammen ja Quintaden 8′ und Fleute 2′ aus der Renaissance. Im Spaltklang mit dem Dulcian ergibt sich ein Klang, der wie gemacht für die lebhafte Musik von Sweelinck, Scheidt, etc. scheint. Für die größen Präludien der norddeutschen Orgelschule bietet es sich dann an, die beiden Zungenstimmen auch mit Flöten gleicher Lage abzudecken und den Klang so etwas abzurunden. Die näselnde Voxhumana im Hauptwerk gibt zwar auch alleine einen interessanten Klang, entfaltet aber erst durch die Kombination mit Gedact 8′, Rohrfleute 4′ und dem Nashorn 3′ (ja, das Register heißt wirklich so) ihr volles Potential. Wenn durch den Tremulanten, der sich auf Haupt- und Brustwerk auswirkt, noch ein elegantes Vibrato erzeugt wird, wird klar, woher die Voxhumana, die menschliche Stimme ihren Namen hat.
Die Flötenstimmen sind ein Highlight der Orgel. Es gibt Orgeln, die sich nicht so groß anfühlen, wie die Registerzahl suggeriert, weil die Teilwerke ähnlich aufgebaut sind und Register gleicher Art auch noch gleich intoniert sind. Das ist hier überhaupt nicht der Fall. Jede Flötenstimme hat einen recht eigenständigen Charakter, der aber natürlich in den höheren Fußtonlagen eher hervortritt, als jetzt z. B. beim Gedact 8′. Ahrend hat beim intonieren offenbar auch auf die zeitlichen Unterschiede der Register Rücksicht genommen.
4 Literaturverzeichnis
Ich gebe keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Textes. Neben den folgenden Quellen sind auch meine eigenen Eindrücke von der Orgel eingeflossen.
Kaufmann, W. (1968): Die Orgeln Ostfrieslands – Orgeltopographie. Aurich: Ostfriesische Landschaft.
Ruge, R. (2022): Dornum, St. Bartholomäus. Stade: Nomine e. V. https://nomine.net/orgel/dornum-st-bartholomaeus/ (07.08.2025).