1860 | Altstadt Leer | de Grave-Winter

Orgelvorstellung, „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ (Christian Heinrich Rinck) und Präludium in D-Dur (Bedřich Smetana).

1 Disposition und Überblick

Erbauer: Brond de Grave-Winter
Jahr: 1860
Ort: Mennonitenkirche Leer
Umfang: 10IP

Alle Register von de Grave-Winter sofern nicht anders angegeben

Hauptwerk:
Principal 8′ (van der Putten)
Gedakt 8′
Doppelflöte 8′ (van der Putten)
Oktave 4′
Flöte 4′
Quinte 3′
Flautine 2′
Oboe 8′ (Baß + Disc) (Zungenpfeifen Güntzel)

Pedal:
Subbaß 16′
Violon-Cello 8′

Koppeln: Pedalkoppel

Stimmung: Gleichstufig
Stimmtonhöhe: Geringfügig über Normal

2 Geschichte

Vorgeschichte:

1825: Die Mennonitenkirche in Leer wird fertiggestellt. Im selben Jahr wird der Kontrakt für einen Orgelneubau mit Wilhelm Eilert Schmid abgeschlossen und im Folgejahr abgenommen. Das Werk hat 10 Register.

Heutige Orgel:

1860: Der Orgelbauer Brond de Grave-Winter unterbreitet der Gemeinde in einem ersten Kostenvoranschlag verschiedene Möglichkeiten: Eine Reparatur mit Erneuerung der Trompete, eine Erweiterung um ein Pedalwerk oder der vollständige Neubau unter Beibehaltung von Gehäuseteilen. Letzteres wird dann mit einem zweiten Kostenvoranschlag präzisiert und die heutige Orgel wird gebaut

Während des Ersten Weltkrieges müssen die Prospektpfeifen abgegeben werden. Zu unbekannten Zeitpunkten wird die Doppelflöte erst durch eine Gambe ersetzt und diese dann zu einer Quintadena umgearbeitet. Die Vermutung liegt nahe, dass die Gambe Anfang des 20. Jahrhunderts durch P. Furtwängler und Hammer eingebaut wurde, die die Orgel gepflegt haben und die Umarbeitung zur Quintadena dem Neobarock der Nachkriegszeit geschuldet war. Die Oboe wird im Laufe der Zeit auch ersetzt, möglicherweise aufgrund von Wurmstichigkeit.

2014: Restaurierung durch Orgelmakerij van der Putten in Zusammenarbeit mit Zungenpfeifen Güntzel.

3 Beschreibung

Die Orgel verfügt über 10 Register auf einem Manual und selbstständigem Pedal und ist auf der Nordostseite aufgestellt. Im Vergleich zu den anderen Orgeln dieser Zeit in Ostfriesland fällt auf, dass der Klang immer sehr warm und zurückhaltend bleibt, selbst im vollen Werk. Die Register ergänzen sich sehr gut und verschmelzen problemlos. Zwar haben generell die Orgeln der Hochromantik auch in Ostfriesland einen Fokus auf die 8′-Lage mit wenig Aliquoten und dafür vielen dynamischen Abstufungen und einem oft voluminösem Bass, hier ist dies aber noch einmal besonders ausgeprägt. Ursachen gibt es dafür viele. In der Disposition finden sich nur drei Prinzipalregister. Der Prinzipal 8′ ist dunkel und warm intoniert, während die Oktave 4′ das einzige Register ist, was der Orgel auch mit wenigen anderen Registern zusammen eine gewisse Lautstärke verleiht. Die Quinte 3′ ergänzt sich dann perfekt als weitere Färbung des Klanges. Eine Oktave 2′, wie sie de Grave-Winters Zeitgenosse Rohlfs in Ostfriesland noch gebaut hat, fehlt, die Lage wird stattdessen von eine Flautine 2′ gefüllt. Das volle Werk von Rohlfs-Orgeln wie der in Loppersum hat daher tendentiell noch geringfügig mehr Helligkeit. Da Rohlfs selbst in kleinen Orgeln einen 16′ gerne als Bordun im Manual baute, ist der Klang von Rohlfs-Orgeln in der Basslage auch teilweise etwas „dicker“, weil sich der 16′ auf das gesamte Manualspiel auswirkt und nicht wie in der Mennonitenkirche nur auf das Pedal. Das reine Prinzipalplenum der Mennonitenkirche in Leer in 8′, 4′ und 3′-Lage ist zwar zur Abwechslung reizvoll, viel schöner wird der Klang allerdings, wenn er mit den beiden 8′- und der 4′-Flöte noch „angedickt“ wird. Generell lassen sich alle Register problemlos miteinander kombinieren. Besonders gilt das für die drei 8′-Register, also dem ausgewogenen, warmen Prinzipal, dem grundtönigen Gedakt und der Doppelflöte, die etwas „topfig“ klingt und die Ansprache transparenter macht. Ein weiteres Highlight ist die Oboe 8′. Sie ist in Bass und Diskant geteilt und so kann mit ihr eine Melodie noch hervorgehoben werden. Sie wurde nicht von van der Putten rekonstruiert, sondern vom Orgelbauer Güntzel aus Sachsen, der sich auf Zungenpfeifen spezialisiert hat. Er entschied sich dazu, das Register nicht als durchschlagende Zunge zu rekonstruieren, wie es ursprünglich der Fall war, um eine zuverlässigere Funktion zu gewährleisten. So oder so, die Ansprache des Registers ist sehr langsam und mit der richtigen Artikulation lassen sich verschiedene Effekte erzielen. Bei Staccato-Spiel ist die Oboe entsprechende kaum hörbar, bei Legato-Spiel mit langen Notenwerten ähnelt das Register schon fast einer realen Oboe. Außerdem färbt die Oboe das volle Werk merklich, gibt noch einmal mehr Kraft im mittleren Frequenzbereich und verleiht dem Klang einen Charakter, der an ein Harmonium erinnert.

Der Klang der einzelnen Register unterscheidet sich etwas von den jeweiligen Entsprechungen in den Rohlfs-Orgeln. Sie sind generell etwas weicher und runder. Ein Grund könnte dafür sein, dass die meisten Rohlfs-Orgeln von Bartelt Immer oder einem Orgelbauer restauriert wurden, die in der Tradition von Führer-Orgelbau stammen. Restaurierungen von van der Putten sind im Vergleich dazu in Ostfriesland nicht ganz so häufig. Dazu kommt auch, dass der kleine Raum mit sehr vielen Holzelementen natürlich eine andere Intonation einfordert, als die etwas größeren, steinernen Dorfkirchen, in denen die meisten Rohlfs-Orgeln stehen. Was die Klangfindung mit Sicherheit auch beeinflusst haben dürfte, ist, dass de Grave-Winter nicht in ostfriesischer Orgelbautradition steht. Er hat sein Handwerk bei Urban Kreutzbach gelernt und seine Orgeln weisen viele Gemeinsamkeiten mit denen Kreutzbachs auf.

Ein Besuch lohnt sich besonders, weil hier die Vielfalt der Romantik in Ostfriesland um sächsische Einflüsse erweitert wird.

4 Literaturverzeichnis

Ich gebe keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Textes. Dieser Beitrag setzt sich aus Informationen zusammen, die ich bei einem Besuch vor Ort sowie folgenden Quellen erfahren habe:

Kaufmann, W. (1968): Die Orgeln Ostfrieslands – Orgeltopographie. Aurich: Ostfriesische Landschaft.

Noack-Kirschner, I. (2014): Bericht über die Restaurierung der Brond de Grave Winter Orgel in der Mennonitenkirche in Leer/Ostfriesland. Finsterwolde: Orgelmakerij van der der Putten.