1 Disposition und Überblick
Erbauer: Alfred Führer Orgelbau im Prospekt von Johann Friedrich Wenthin
Jahr: 1956 im Prospekt von 1803-04
Ort: Ev.-ref. Kirche Groß Midlum
Umfang: 14IP
Manual:
Principal 8′
Gedackt 8′
Oktave 4′
Gedacktflöte 4′ (Hillebrand/Immer 2021)
Nasat 2 2/3′
Superoktave 2′
Waldflöte 2′
Quinte 1 1/3′
Mixtur IV
Cornett III (B/D)
Trompete 8′ (B/D)
Dulzian 8′ (B/D)
Pedal:
Subbaß 16′
Spitzgedackt 4′
Koppel: Ped/Man
Stimmung: Ungleichstufig
Stimmtonhöhe: ~438 Hz
2 Geschichte
Vorgeschichte:
1579: Reparatur einer „gantz zerfallenen“ Orgel, die Groß Midlumer Kirche musste also schon deutlich vor 1579 eine Orgel gehabt haben.
1580: Größere Arbeiten durch Ulrich Dirckszoon van Sneek.
1613: Ausgaben für eine neuen Orgel. In einer Inventur von 1766 ist das Alter aber auf über 200 Jahre festgelegt. 1613 fand also vermutlich kein direkter Neubau, sondern ein Umbau statt.
18. Jh.: Der Zustand der Orgel wurde immer wieder beklagt.
1802: Aus einem Bericht geht hervor, dass die Orgel acht Register auf Brust- und Oberwerk (Hauptwerk) hatte. Wenn berücksichtigt wird, dass die ältesten Nachrichten aus dem 16. stammen, könnte das Hauptwerk die Register Praestant, Octave, Mixtur und Scharf als Weiterentwicklung aus dem mittelalterlichen Blockwerk gehabt haben. Das Brustwerk könnte dann aus Flöten und Zungenstimmen aufgebaut gewesen sein, ähnlich wie es in der erhaltenen Orgel in Osteel der Fall ist. Im 16. Jahrhundert begannen die Klaviaturumfänge in Kleinorgeln üblicherweise ab F statt wie heute ab C. Das Werk war also wahrscheinlich auf 6′- statt 8′-Basis, so wie es ursprünglich auch in Osteel der Fall war. Die absolute Tonhöhe bleibt dabei gleich, da aber Register traditionell nach ihrem tiefsten Ton benannt wurden und Klaviaturen ab F schlichtweg alltäglich waren, wurden in der Renaissance noch Dispositionen oft auf 6′-Basis beschrieben. Um dieses Gedankenspiel noch zum Ende zu führen: Eine potentielle, aber auf keinen Fall belegte (!) Disposition der alten Orgel in Groß Midlum könnte die folgende gewesen sein:
Oberwerk (Hauptwerk):
Praestant 6′
Octave 3′
Mixtur
Scharf
Brustwerk:
Hohlflöte 3′
Spitzflöte 1 1/2′
Sifflöte 3/4′
Regal 6′.
1803-04: Johann Friedrich Wenthin baute die Orgel, deren äußere Verkleidung noch heute zu sehen ist. Zuvor vermachte Adriana von dem Apelle, geborene Merwede, welche dem Häuptlingsadel angehörte, der Gemeinde Land, mit dem die Orgel bezahlt wurde. Ihr Name ist noch heute auf der Empore zu lesen. Durch Verpachtung des Landes wurde dann auch die Pflege des Instrumentes finanziert. Neben Wenthin wurde auch Hinrich Just Müller angefragt, einen Kostenvoranschlag vorzulegen, der war aber etwas teurer, weshalb die Wahl auf Wenthin fiel. In einem Brief von Müller an das Konsistorium in Aurich beklagte er, nicht ausgewählt worden zu sein und dass die Vergabe wohl nicht öffentlich vonstatten ging. Wenthins Orgel war weiß, nicht wie heute rot und wies die folgende Disposition auf:
Bordun 16′
Principal 8′
Gedackt 8′
Traversflöte 8′
Octave 4′
Gedacktflöte 4′
Quinte 2 2/3′
Octave 2′
Waldflöte 2′
Mixtur 4f.
Cornett 3f. B/D
Trompete 8′ B/D
Dulzian 8′ B/D.
1944: Von einigen Problemen mit einzelnen Registern die Rede, ansonsten wird das Instrument als „selten schönes Orgelwerk“ beschrieben. Außerdem wird erstmals der Einbau eines selbstständigen Pedals thematisiert.
1952: Ein Gutachten vom Sachverständigen Hallensleben unterscheidet sich auf einmal grundlegend von den vorherigen Nachrichten. Pfuscher hatten wohl versucht, das Werk zu verbessern. Jedenfalls hatte die Windlade wohl einige Durchstecher und auch die Register sind nicht verschont geblieben. Metallpfeifen waren am Rand ausgefranst, Labien eingedrückt, die Holzpfeifen wurden zum Teil auseinandergeleimt oder mit Zeitungspapier zusammengeklebt. Die Lingualpfeifen waren verbeult, zusammengedrückt oder „wie eine Blumentüte“ zusammengedreht.
Heutige Orgel:
1956: Hallensleben gab Alfred Führer Orgelbau den Auftrag, die Orgel zu restaurieren. Die Firma kam dem leider nicht nach. Die Orgel wurde zwar in Gänze in die Werkstatt transferiert, dort aber ohne Absprache verworfen mit dem Argument, die Pfeifen seien nicht mehr zu retten. Dies ist nach heutiger Einschätzung aber nicht zutreffend, die Pfeifen hätten durchaus wieder ausgebeult werden können. Dies ist mehr als bedauerlich, zumal das Werk außer den Prospektpfeifen noch vollständig original war. Das Vorgehen Führers ist aber zu der Zeit ein typisches und wurde vielfach praktiziert. Heute stammt entsprechend nur noch die Hauptwerkswindlade und das Gehäuse von Wenthin, heute in roter Farbe.
2020: Es wurde festgestellt, dass Führer ein Register nicht neu gebaut hat. Er nutzte Teile des Gedackt 8′ aus der Nachbargemeinde Freepsum, wo eine Orgel von Höffgen aus dem Jahr 1836-39 steht, für die Flöte 4′ wieder. Das hatte mit Denkmalpflege nichts zu tun, die Pfeifen wurden einfach „verwurstet“. 2020 wurden die historischen Pfeifen im Zuge der Restaurierung der Freepsumer Orgel wieder zurück getauscht, sodass die dortige Höffgen-Orgel nun wieder einen originalen Gedackt 8′ hat. Stattdessen erhielt die Groß Midlumer Orgel eine neue Flöte des Orgelbauers Hillebrand, welcher in Freepsum die Arbeiten durchführte. Das Register wurde dann 2023 vom pflegenden Orgelbauer Bartelt Immer intoniert.
3 Beschreibung und Besonderheiten
Die Orgel verfügt über 14 Register auf einem Manual und eingeschränkt selbstständigem Pedal und ist auf der Ostseite zwischen Chor- und Hauptraum aufgestellt. Sie ist nach der Registerzahl die größte Orgel im Gemeindeverbund Hinte.
Trotz der Kritik an Führers „Denkmalpflege“ muss anerkannt werden, dass hier ein tolles Werk vorhanden ist, deren Stärken ganz klar in der Klangvielfalt und in den Möglichkeiten der Klanggestaltung liegen. Der Klang ist kräftig, voll und hell, ohne zu schrill zu sein und die Register haben einen sehr charakteristischen Klang. Die Intonation ist unverändert von Führer, da man sich später nicht zu einer Neuintonation für einen runderen Klang entschlossen hat. Stattdessen wurde einfach eine ungleichstufige Stimmung (Neidhardt) gelegt, die im Vergleich zur Gleichstufigkeit direkt ein harmonischeres Gesamtbild in den Haupttonarten ergibt. Es ist durchaus denkbar, dass sich Führer nach der Entsorgung des Wenthin-Werkes und den folgenden Streitigkeiten mit dem Sachverständigen Hallensleben um ein schönes Werk bemühte. Das ist auch deshalb mehr als plausibel, da auch im Vergleich zu anderen Führer-Orgel aus der Zeit die Groß Midlumer qualitativ besonders heraussticht.
Die Orgel bietet auch zwei Zungenregister und ein Cornett, alle drei in Bass- und Diskantaufteilung, was dem Spiel diverse neue Möglichkeiten gibt. Das Cornett ist eine Eigenkreation von Führer, beinhaltet u. a. auch eine Rohrflötenreihe und ist im Hauptgehäuse mit eigener kleiner Windlade deutlich über den anderen Pfeifen aufgestellt. Natürlich kann das Cornett als Soloregister für französisch- oder englisch-barocke Literatur genutzt werden. Es verleiht aber auch dem Plenum noch mehr Glanz und kann durchaus mit Mixtur zusammengezogen werden – frei nach dem Motto: Erlaubt ist, was gut klingt. Trompete und Dulzian haben einen sehr feinen und doch kräftigen Klang, ohne zu scheppern, wie es bei späteren Führer-Orgeln hin und wieder vorkommt. Die beiden Pedalregister stehen auf einer eigenen Lade zwischen Haupt- und Balkgehäuse. Die Spitzflöte ist einerseits durch die beengten Platzverhältnisse und andererseits durch den neobarocken Hang zur Cantus firmus-Fähigkeit begründet. Mit dem Pedal können leise Registrierungen selbstständig begleitet werden, für kräftigere Kombinationen muss dann aber doch die Koppel gezogen werden.
Die größte Stärke dieser Orgel liegt in der für eine einmanualige Orgel besonders großen Vielfalt an Klangfarben. Die Stimmen sind charaktervoll und doch gut kombinierbar und die Bass/Diskant-Teilung gleich dreier Register erhöht die spieltechnischen Möglichkeiten noch einmal enorm.
4 Literaturverzeichnis
Ich gebe keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Textes. Dieser Beitrag setzt sich aus Informationen zusammen, die ich bei einem Besuch vor Ort, im Austausch mit dem pflegenden Orgelbauer (dafür vielen Dank!) sowie folgender Quelle erfahren habe:
Nickles, R. (1995): Orgelinventar der Krummhörn und der Stadt Emden. Bremen: Verlag H. M. Hausschild GMBH.