1441/1513 | Rysum | Harmannus zugeschrieben

Orgelvorstellung

1 Geschichte

“In dieser Zeit haben die Rysumer vom Häuptling Olde Imell, erbeten, dass er ihnen erlauben möge, ihre fetten Rinder über die Ems nach Groningen überschiffen zu dürfen, um ihre Schulden wegen der Orgel zu bezahlen, die sie dort hatten anfertigen lassen.”

Das erwähnt sinngemäß und etwas gekürzt Eggerik Beninga, ein Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts, in seiner Chronik der Friesen. Der Beitrag steht unter dem Jahr 1457.

Nur hat besagter Olde Imell, den die Rysumer um Erlaubnis gefragt haben, 1457 schon nicht mehr gelebt. Sinniger ist eigentlich der Zeitraum von 1441 bis 45 oder sogar etwas eher, da war Imell als Seeräuber auf der Ems aktiv und dann macht es für die Rysumer auch Sinn nach der Erlaubnis zur Verschiffung auf der Ems zu fragen. Als Erbauer der Orgel wird ein gewisser Meister Harmannus aus Groningen vermutet.

Die Orgel war zu der Zeit ein so genanntes Blockwerk, sie konnte nur laut oder leise. Bei laut erklang das volle Werk und für leise konnte die vorderste, tiefste Pfeifenreihe mit einem Hebel abgetrennt werden. Das ist mittlerweile nicht mehr der Fall, denn heute hat sie Register. Das heißt, irgendwann muss die technische Anlage umgebaut worden sein. Wann das passierte, ist nicht klar. An der Organistenkanzel steht das Jahr 1513, dann hat die Orgel auch ihren heutigen Standort bekommen. Vielleicht passierte der Umbau auch Anfang des 17. Jahrhunderts, als die Praxis aufkam, Gemeindegesang mit der Orgel zu begleiten. Spätestens 1680 hatte die Orgel aber Register, denn Joachim Kayser wurde für sieben neue Registerknöpfe bezahlt.

Natürlich gingen die folgenden Jahrhunderte auch nicht am Instrument vorbei. 1736 bis 38 arbeitete Matthias Amoor alte Pfeifen zum heutigen Gedackt 8‘ um. Der Klang ähnelt eher einer Quintadena als einer Flöte, möglicherweise hat er Mensuren der alten Pfeifen einfach so belassen. Er erweiterte den Manualumfang auf das heutige Niveau. Außerdem wurde das Aussehen der Orgel im barocken Stil verändert. Von den alten Flügeltüren blieben nur Reste übrig, die als Abdeckung für die Windlade zweckentfremdet wurden. Nachdem dann in den 1860er Jahren eine neue Decke eingezogen wurde, die das, was vom oberen Teil der Orgel noch da war verdeckte, war von Gotik und Renaissance nicht mehr viel zu sehen.

Ihr heutiges Aussehen verdankt sie den Orgelbauern Ahrend und Brunzema, die das Werk 1960 wieder restaurierten und das konsequent. Der Prospekt wurde wiederhergestellt und die Flügeltüren konnten anhand der Reste auf den Windladen rekonstruiert werden. Untersuchungen am Holz dieser Reste sind ein wichtiger Anhaltspunkt, dass im Jahr 1513 ein weitgehender Umbau stattfand, denn dann erhielt das Instrument erstmals auch Flügeltüren. Während der Arbeiten wurden Reste der technischen Anlage des früheren Blockwerkes gefunden, weshalb zur Erinnerung an diese Zeit der berühmte Registerhebel rekonstruiert wurde. Im Blockwerk konnte mit so einem Hebel zwischen laut und leise unterschieden werden. Da die Registerzüge aber beibehalten wurden, dient der Hebel heute schlicht zur Aktivierung des Prinzipals 8‘. Rekonstruiert wurden auch Mixtur, Sesquialtera und Trompete in authentischer, alter Bauweise. Sie waren 1941 gegen Fabrikpfeifen eingetauscht wurden. Dass das passiert ist, ist natürlich schade, auf der anderen Seite hielten solche Maßnahmen das Werk am Leben. Denn vorher gab es mehrere Gutachten, die das Werk als völlig verbraucht und gar nicht mehr zu retten beschrieben und einen Neubau empfahlen. Es ist auch nicht bekannt, ob die drei Register von vor 1941 überhaupt noch original waren. Zwischendurch hatte die Orgel wohl auch acht Register, wobei dieses zusätzliche wahrscheinlich auf den Orgelbauer Lohmann zurückging.

2 Beschreibung und Besonderheiten

Die Orgel befindet sich auf der Westseite der Kirche auf einer Empore. Sie verfügt über einem Manual mit dem Umfang C bis a”. Die große Oktave ist als kurze Oktave gebaut, ebenso fehlt der Ton gis”. Ein Pedal ist nicht vorhanden. Die Orgel ist geringfügig modiziert mitteltönig gestimmt. Heute ist sie eines der bekanntesten Werke der Orgellandschaft Ostfriesland. Auf ihr lässt sich Musik des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance authentisch interpretieren. Die Prinzipale klingen ausgesprochen vocal und in höheren Lagen fast schon flötenartig. Zu Beginn erklang mit einem Praeambulum von Leonhard Kleber die Octave 4‘ allein. Wer dort spielt, erlebt eine Zeitreise in die Spielarten und Klangideale einer frühen Phase des Orgelbaus. Der originale Praestant 8′ hat keinen Registerzug, sondern kann mit einem Hebel, der an das frühere Blockwerk erinnert, eingeschaltet werden. Er wird oft als “singend” bezeichnet. Es ist nur aus Aufnahmen schwer vorstellbar, aber vor Ort und “live” erweist sich dies als erstaunlich treffend.

3 Disposition

Praestant 8′ (Registerhebel)
Gedackt 8′
Octave 4′
Octave 2′
Mixtur III-IV
Sesquialtera II
Trompete 8′

4 Literaturverzeichnis

Ich gebe keine Gewähr für die Richtigkeit dieses Textes. Neben den folgenden Quellen sind auch meine eigenen Eindrücke von der Orgel eingeflossen.

Balder, H. (Hg.) (2012): Die gotische Orgel in der Rysumer Kirche. Rysum: Selbstverlag.

van Lengen, H. (2016): Wann wurde die Rysumer Orgel gebaut? In: Emder Jahrbuch (96) S. 25-38.

Nickles, R. (1995): Orgelinventar der Krummhörn und der Stadt Emden. Bremen: Verlag H. M. Hausschild GMBH.

Vogel, H.; Ruge, R.; Noah, R.; Stromann, M. (1997): Orgellandschaft Ostfriesland. Norden: Verlag Soltau-Kurier-Norden.