Die Geschichte

Dieser Artikel ist gedacht als erster Überblick. Das Instrument Orgel gibt es seit vielen Jahrhunderten und in allen erdenklichen Formen. Die hier genannten „Etappen“ sind Strömungen von Tendenzen. Die Übergänge sind immer fließend und von Ort zu Ort unterschiedlich. Wenn eine Orgel zu einer bestimmten Zeit gebaut wurde, ist es wahrscheinlich, dass die hier aufgezählten Charakteristika zutreffen, aber Ausnahmen bestätigen immer die Regel.

Grundsätzlich sind Orgeln seit der Antike bezeugt, die erste Form ist ein Instrument gebaut von Ktesibios aus Alexandria im 3. Jahrhundert v. Chr. Hier wurde Wasser zur Regelung des Winddruckes verwendet. In Deutschland gibt es Orgeln seit dem Mittelalter. Aus der Gotik sind noch vereinzelnd Werke erhalten, z.B. in Rysum oder Kiedrich. Diese sind natürlich zum Teil rekonstruiert und restauriert, es handeln sich hierbei um einfache Werke mit wenigen Möglichkeiten der Klanggestaltung. Für die Orgel in Rysum werden beispielsweise die 1440er Jahre als Bauzeitpunkt angenommen. Es waren nur zwei Klangkombinationen möglich, man konnte entweder eine Pfeifenreihe (genannt Praestant 8′) für einen ruhigen Solo-Klang spielen oder per Zug das gesamte restliche Werk hinzuschalten, um einen Tutti-Klang, genannt „Plenum“, zu erhalten. Das, was man sich heute unter einer Orgel vorstellt, ist erst später aufgetreten. Die Beliebtheit der Orgel ging soweit, dass auf Pilgerfahrten tragbare Orgeln, so genannte Truhenorgeln, mitgenommen wurden.

Die für den Orgelbau wichtigste Etappe war von ca. 1600 – 1800 n. Chr. Es entwickelten sich immer größere Orgeln, die sich in mehrere Teile, so genannte Werke einteilen lassen. Diese Werke, auch Positive genannt, kann man in der barocken Idealvorstellung auch von außen erkennen. Je nach Größe der Orgel gibt es natürlich mehr oder weniger Werke, ein Werk hat allerdings jede Orgel, das Hauptwerk. Dieses ist im Zentrum leicht oberhalb des Spieltisches angeordnet und wird von den Bass- oder Pedaltürmen umgeben, die die größeren Orgelpfeifen beherbergen. Oberhalb des Hauptwerkes befindet sich das Oberwerk, direkt vor dem Organisten das Brustwerk. Oft findet sich im Rücken des Organisten noch ein Rückpositiv. In seltenen Fällen gibt es auch ein Fernwerk, welches sich, räumlich von der Hauptorgel getrennt, an anderer Stelle in der Kirche oder im Konzertsaal befindet. Das kann z.B. für einen Echoeffekt genutzt werden.

Mit dem Voranschreiten der Reformation und dem Beginn des Gemeindegesangs im Gottesdienst änderte sich ebenfalls das Klangideal zu einem durchdringenden, scharfen und intensiven, zum Teil auch einfach lauterem Klang. Ein Paradebeispiel für eine Orgel, die größtenteils nur für den Gemeindegesang konzipiert ist, ist die Orgel der Westerhuser Kirche, die 1642/43 mit Pfeifenwerk der Vorgängerorgel von ca. 1500 gebaut wurde. Sie besitzt nur über vergleichsweise wenige Pfeifenreihen, kann aber trotzdem eine erstaunlich hohe Lautstärke erzeugen, der Klang wird als sehr stark und intensiv beschrieben. Die Einführung des Gemeindegesanges mit Orgelbegleitung lässt sich in Ostfriesland genau auf das Jahr 1641, also nur zwei Jahre vor Fertigstellung, datieren. Der Klangcharakter der Orgel ist für die Begleitung des Gemeindegesangs einer voll besetzten Kirche auch nötig. Lediglich zwei der acht Register sind eher leiser, wenn auch nicht grundtöniger.

In der Klassik tendierte der Orgelbau dann zu noch mehr Soloregistern. Dies passierte analog zu Entwicklungen der Musik, die sich von verwobenen Strukturen zu mehr Fassbarkeit und Eingängigkeit entwickelte. Das waren meist welche, die es schon lange gab, nun aber mehr gebaut wurden und auch in Regionen, in denen sie zuvor weniger vorkamen. Speziell in Ostfriesland etablierten sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts beispielsweise das labiale Cornet, die Viola da Gamba oder ganz besonders häufig die Traversflöte.

In der Romantik erlebte die Orgel einen neuen Aufschwung. Das Ziel war die Imitation des Symphonieorchesters mit entsprechend grundtönigen und dunklen Klangidealen. Wichtig wurde die Fähigkeit, Musik fein dynamisch abzustufen. Das schlug sich einerseits direkt in der Disposition nieder. Beispielsweise wurden durch eine Vielzahl an 8′-Registern viele Abstufungen im piano- und mezzopiano-Bereich erreicht. In Großorgeln etablierte sich in Deutschland die Registerwalze, mit der sich einem stufenlosen Crescendo angenähert werden konnte. Von Frankreich ausgehend verbreitete sich dafür der Schweller, ein Pedaltritt am Spieltisch, der Lamellen vor den Pfeifen öffnet und dadurch tatsächlich ein stufenloses Crescendo erreicht.

Eine Wendung kam daraufhin im 20. Jahrhundert mit der Rückbesinnung auf alte Klangbilder. Eine neue Orgelbewegung schenkte dem Instrument wieder mehr Aufmerksamkeit. Problematisch war allerdings, dass alles romantische überstürzt entfernt wurde. Alte Barocke Werke, die in der Romantik umgebaut und erweitert wurden, wurden zu hastig und unüberlegt restauriert. Dabei ging leider viel historische Substanz verloren. Gleichzeitig entstand mit den Neubauten ein neuer Stil, der Neobarock, als barocke Inspiration mit zeitgenössischen Ideen verknüpft wurde. Dies wurde besonders durch eine Welle von Neubauten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges begünstigt. Stand 2024 stammt noch immer ein großer Teil aller Orgeln in Deutschland aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Die Qualität dieser Werke schwankte von Orgeln aus billigsten Materialien ohne musikalische Feinheit bis hin zu wegweisenden, klanglich wahnsinnig gut gemachten Werken.

Ab den 80er Jahren erlebten romantische Musik und Orgelbau eine Renaissance. Zum Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. wurde zunächst versucht, Kombinationen aus romantischen und barocken Eigenschaften zu bauen. Dabei wurden verschiedene Ansätze verfolgt, ein besonders häufiges war die dreimanualige Orgel mit barockem Positiv, romantischem Schwellwerk und einem Hauptwerk, das sich klanglich irgendwo dazwischen aufhielt. Das Konzept hat Vor- und Nachteile, positiv könnte man die Werke als Universalorgeln bezeichnen, negativ als Kompromiss. Gleichzeitig wurden auch Orgeln gebaut, die sich bewusst nur an einem Stil orientieren. Diese Stilorgeln haben den klaren Vorteil, eine Art von Musik sehr gut darstellen zu können und andere noch immer mit Kompromiss. Momentan sieht es daher auch so aus, als ob sich die Stilorgel gegenüber der Universal/Kompromiss-Orgel durchsetzt, aber das muss irgendwann mit genügend Abstand erneut betrachtet werden. Als eine Art Unterform der Stilorgel wurden in den letzten Jahrzehnten auch immer mehr Rekonstruktionen angestrebt. Oft wird das aufgrund von erhaltenem historischen Material beispielsweise einem noch vorhandenen Prospekt oder alten Pfeifen angestoßen, teilweise aber auch ganz ohne. Rekonstruktive Vorhaben sind allerdings selten konsequent, oft wurden zumindest negativ konnotierte Einzelheiten angepasst, z. B. die Stimmung oder Tastaturumfänge.

(c) Jan Klaassen 2020